In der Reihe "Gut beraten!" stellen wir landesgeförderte Angebote für Fachkräfte der Schulsozialarbeit vor. Dieses Mal geht es um das Thema Beteiligung. Im Interview erzählen Michael Rocher (KIJUBB) und Uta Lauterbach (Koordinatorin Kinder- und Jugendbeteiligung in OPR), was Beteiligung ist, welche Rolle die Schule dabei spielt und welche Angebote sie für Schulsozialarbeiter*innen bereithalten.
Was ist KIJUBB?
Michael: „KIUBB steht für ‚Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg‘. Es ist ein 2010 gegründetes Beratungsnetzwerk und gliedert sich in die ‚Fachstelle Beteiligung in den Hilfen zur Erziehung‘ und die ‚Fachstelle Kinder- und Jugendbeteiligung‘. In Letzterer bin ich tätig. Unsere Zielgruppen sind die Kinder- und Jugendlichen, die Sozialarbeit sowie Lehrkräfte, die Kommunen und damit auch Schulträger. Insgesamt sind wir als Akteur*innen für Jugendbeteiligung im Land Brandenburg gut vernetzt. In diesem Sinne pflegen wir auch eine enge Zusammenarbeit mit Uta Lauterbach von der DGB Jugendbildungsstätte.“
Uta: „Ja, seit 2019 koordiniere ich die Kinder- und Jugendbeteiligung im Landkreis Ostprignitz-Ruppin und bin damit Ansprechpartnerin für den gesamten Landkreis, wenn es um Kinder- und Jugendbeteiligung geht.“
Welche Angebote habt ihr für Schulsozialarbeiter*innen?
Michael: „Grundsätzlich begleiten wir die praktische Umsetzung von Beteiligungsprozessen. Das bedeutet, dass wir gemeinsam mit Schulsozialarbeiter*innen oder auch anderen Initiator*innen überlegen, wer in der Kommune mitgedacht werden muss, z. B. Schulleitung, Lehrkräfte, Politik, Verwaltung, mobile und offene Jugendarbeit. Wir unterstützen auch bei der Überlegung nach geeigneten Formen und Methoden zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Außerdem beraten wir zum Thema, wie man Kinder und Jugendliche zur Teilnahme an diesen Prozessen noch mehr motivieren könnte.“
Uta: „Wenn eine Schule auf mich zukommt, würde ich zunächst eine Fortbildung für die Schülervertreter*innen vorschlagen, u. a. zur Moderation. Dort lernen sie rhetorisches Handwerkszeug, um ihre Anliegen gegenüber den ‚Erwachsenen‘ besser zum Ausdruck zu bringen. In einem Prozess haben wir die Bestandsaufnahme der Kinder und Jugendlichen auch mit künstlerischen Mitteln umgesetzt. Das hat allen Beteiligten sehr viel Spaß gemacht.“
Michael: „Wichtig finde ich außerdem zu überlegen, wie es dann weitergeht und welche konkreten Absprachen man für den Folgeprozess trifft.“
Wie seid ihr zur Kinder- und Jugendbeteiligung gekommen?
Michael: „Ich komme aus einer politischen Familie. Mein Vater ist Bürgermeister. Ich habe mich schon mit 16 in der Kommunalpolitik engagiert, wurde mit 18 zum Gemeindevertreter gewählt und habe dort auch die Initiative für ein Jugendparlament angestoßen. Außerdem war ich lange gewerkschaftlich aktiv. Beteiligung hat somit für mich immer eine große Rolle gespielt.“
Uta: „Ich bin von Beruf Bibliothekarin, aber die Arbeit war für mich immer wie Stubenarrest, weil ich gerne mit Menschen zu tun habe. Nach der Wende bewarb ich mich in einer Bildungsstätte und gestaltete dort die Kinder- und Jugendbeteiligung mit. Für mich stand fest: Ich mache nichts, was die Jugendlichen nicht wollen. Und so bin ich durch die Dörfer gefahren und habe gefragt, was die Jugendlichen eigentlich wollen. Daraus ergab sich 2013 die erste Demokratiewerkstatt in Wittstock mit 38 Kindern und Jugendlichen. Seit diesem glorreichen Auftakt finden die Demokratiewerkstätten viermal jährlich statt und die oberste Prämisse lautet wie zu Beginn: Was wollen und brauchen die Kinder und Jugendlichen vor Ort? Die Arbeit ist mein absolutes Herzblut."
Was versteht ihr unter Beteiligung?
Michael: „Ein Freund hat dies neulich sehr treffend zusammengefasst: Beteiligung bedeutet Kommunikation auf Augenhöhe. Gerade wenn wir zwei sehr ungleichgewichtete Akteure mit unterschiedlichen Entscheidungskompetenzen, wie Kinder und Jugendliche und Schule oder Kommune, ist die Augenhöhe das Problem.“
Uta: „Gerade an älteren Gesetzen wie dem Brandenburger Schulgesetz lässt sich dies gut veranschaulichen. Das Schulgesetz war zu seiner Zeit ein großer Wurf, aber die vielen Paragraphen und Bestimmungen dieses Gesetzes sind für Erwachsene geschrieben und für Kinder- und Jugendliche eigentlich nicht nachzuvollziehen. Das braucht gute Vermittlung durch Erwachsene. Besser ist da der § 18a, der weniger vorgibt und stärker auf Aushandlung setzt.“
Wer nimmt an den Demokratiewerkstätten teil?
Michael: „Uta und mir war es in unserer Beteiligungsarbeit schon immer wichtig, möglichst viele verschiedene Gruppen anzusprechen und einzuladen. Die Jugendlichen am Gymnasium sind aus unserer Erfahrung heraus leichter zu aktivieren. Wichtig war uns jedoch, auch Schüler*innen anderer Schulformen einzuladen, wie Förderschulen, Realschulen und zum Beispiel auch junge Leute, die aus nicht so einfachen Elternhäusern kommen.“
Uta: „Die Kinder und Jugendlichen in unseren Demokratiewerkstätten sind auch altersmäßig sehr gemischt. Die Jüngsten sind 10 Jahre alt. Ich habe mich immer verwehrt, sie altersmäßig zu trennen, weil sich gezeigt hat, dass dieses Format die einzige Möglichkeit ist, in dem sie auch über die Altersgrenzen hinweg Kontakt zueinander aufbauen und sich austauschen können. In der Schule ist das so zum Beispiel nicht möglich.“
Was ist der Mehrwert von Beteiligung für Kinder und Jugendliche?
Uta: „Wichtige Erfahrungen, die sie in den Prozessen machen können, sind zum Beispiel: gehört zu werden, sich gemeinsam zu organisieren und durch Engagement Dinge anschieben zu können. Das ist wichtig für ein gutes Verständnis für Demokratie.“
Michael: „Eine Sache, die mir wichtig ist und die ich immer zu den Kommunen sage, ist, ‚Ihr müsst zuhören, zuhören, zuhören‘. Auch Grundschüler*innen haben schon viele gute praxisnahe Ideen. ‚Ihr müsst den Kindern und Jugendlichen nur zuhören und dann wisst ihr eigentlich schon, was ihr machen müsst.‘ Die meisten Sachen, die sich Kinder wünschen, sind tatsächlich sehr realistisch und da lohnt es sich, zuzuhören. Beteiligung ist Zukunft.“
Warum spielt bei Beteiligung die Kooperation mit Schule eine große Rolle?
Michael: „Die Schule ist für die Kinder- und Jugendbeteiligung besonders interessant, da die Schüler*innen sowohl über das Schulgesetz als auch über den § 18a* Beteiligungsrechte besitzen. Wenn sie etwas an ihrer Schule verändern wollen, zum Beispiel das Außengelände oder die Räumlichkeiten, können sie dies über beide Wege anstoßen. Der Unterschied besteht darin, dass beim Gang über das Schulgesetz lange formale Wege eingehalten werden müssen. Zum Beispiel müssen hier die Schülerkonferenz, Elternkonferenz, Schulkonferenz, Kommune, etc. einbezogen werden. Insgesamt gleicht das einem großen Kraftakt. Im Gegensatz dazu erlaubt der §18a ein schnelleres Verfahren, da die Kinder und Jugendlichen ihre Anliegen über die politischen Gremien direkt an die Schulträger richten können.“
* Infobox: Was besagt der § 18a der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg (BbgKVerf)? |
Beteiligung an der Schule ist ein wichtiges Kooperationsthema, oder?
Uta: „Ja. Wir hatten auch ganz am Anfang mal den Wunsch, dass teilnehmende Schulsozialarbeiter*innen stellvertretend die Wünsche der Kinder und Jugendlichen aus ihrer Schule mitbringen. Das klappt leider nicht und hat auch Gründe: Wir erleben oft, dass Schulen Beteiligungsprojekte mit Schüler*innen an die Schulsozialarbeit delegieren. Das ist aus unserer Sicht ein strukturelles Problem, denn wenn Schüler*innen Veränderungen an der Schule herbeiführen wollen, geht das nur gemeinsam mit der Schule. Somit brauchen Kinder und Jugendliche die Unterstützung aus den Systemen Schule und Jugendhilfe, um sich zu beteiligen.“
Michael: „Eine Idee für die Zukunft ist, mobile Fachkräfte mehr einzubinden und die Beteiligungsprozesse in Räumlichkeiten außerhalb der Schule stattfinden zu lassen. Denn der Schulsozialarbeit fehlt häufig die Zeit für Beteiligungsprojekte und die mobilen Fachkräfte haben manchmal einen besseren Einblick in den Sozialraum. Wir wollen ausprobieren, ob dies funktioniert.“
Was sind typische Themen und Anfragen, die ihr bekommt?
Michael: „Bei Kindern und Jugendlichen stehen vor allem drei inhaltliche Themen auf der Liste: Schule, Verkehr bzw. Mobilität und Raum bzw. Freiraum, in dem man sich in der Freizeit treffen kann. Kommunen und Schulsozialarbeiter*innen fragen darüber hinaus oft nach Information und Methoden für Beteiligungsprozesse.“
Uta: „Ich beobachte, dass sich im Moment viele Anliegen um die Schul-Cloud drehen. Schüler*innen und Schulsozialarbeiter*innen wünschen sich hier eine stärkere Öffnung der Cloud für weitere Gruppen. Konkrete Vorschläge wären, Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche, die von Schulsozialarbeiter*innen und der Kommune angeboten werden, darüber bekannt zu machen. Weitere Vorschläge beziehen sich auf schulübergreifende Vernetzungsmöglichkeiten mit anderen Schülervertretungen.“
Wer sind meist die Initiator*innen für Beteiligungsprozesse?
Michael: „Initiator*innen sind häufig die Kommunen, aber auch die Kinder und Jugendlichen selbst. Die Schulsozialarbeit unterstützt meist und ist auch oft von Anfang an in die Prozesse involviert. Gleichzeitig kann auch die Schulsozialarbeit selbst Initiatorin sein. In diesen Fällen kommen die Fachkräfte meist mit Fragen zu Methoden für die konkrete Umsetzung auf uns zu oder möchten erfahren, wie man Kinder und Jugendliche motivieren kann. Wir verstehen uns dabei als Hilfe zur Selbsthilfe. Meist unterstützen wir bei den ersten Schritten. Wenn es gut läuft, ziehen wir uns nach einer Weile zurück, um anderen Prozessen die Chance zu geben, von unserer Beratung zu profitieren.“
Uta: „Wir wünschen uns in diesem Zusammenhang eine stärkere Positionierung des Schulamtes hinsichtlich der Beteiligungsprojekte. Denn in der Praxis erleben wir manchmal, dass Schulen dahingehend verunsichert sind, was sie umsetzen dürfen. Klare Regelungen existieren bisher nicht. Das kann Prozesse bremsen und ist sehr schade. Die Angebote sind dabei immer bedarfsorientiert. Wir schauen, was möglich und sinnvoll ist.“
Wie können Schulsozialarbeiter*innen Kontakt zu euch aufnehmen?
Hier sind unsere Kontaktdaten:
Michael Rocher
Fachstelle Kinder- und Jugendbeteiligung im Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg (KIJUBB)
Ansprechpartner für Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße und Cottbus
Telefon: 0152-598 42 895
E-Mail:
Uta Lauterbach
Koordinatorin Kinder- und Jugendbeteiligung Ostprignitz-Ruppin
DGB Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin
Telefon: 0162-342 11 51
E-Mail:
Demokratiewerkstatt Wittstock